Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Als Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird das Recht des Einzelnen verstanden, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im Grundgesetz nicht explizit geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seinem Volkszählungs-Urteil[1] aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) entwickelt und versteht es als eine besondere Ausprägung des allgemeinen Perönlichkeitsrechts.
Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung[↑]
Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Ihrem Schutz dient – neben speziellen Freiheitsverbürgungen – das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann[2]. Die bisherigen Konkretisierungen durch die Rechtsprechung umschreiben den Inhalt des Persönlichkeitsrechts nicht abschließend. Es umfasst auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden[3].
Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muss, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten, vgl. § 2 Abs. 1 BDSG) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus – vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit haben sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsichtnahme und Einflussnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen.
Individuelle Selbstbestimmung setzt aber – auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitungstechnologien – voraus, dass dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird – entsprechend dem Wirkungsprinzip des Panoptismus – versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.
Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
Dieses Recht auf „informationelle Selbstbestimmung” ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über „seine” Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Grundgesetz hat, wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach hervorgehoben ist, die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden[4]. Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht[5]. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist[6]. Angesichts der bereits dargelegten Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken[7].
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Der Begriff des informationellen Selbstbestimmungsrechts geht zurück auf ein Gutachten von Wilhelm Steinmüller und Bernd Lutterbeck aus dem Jahre 1971. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wurde vom Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil 1983[1] als Grundrecht anerkannt. Ausgangspunkt für das Bundesverfassungsgericht ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, also Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (unter C II 1. des Urteils; Rn 152).
Die freie Selbstbestimmung bei der Entfaltung der Persönlichkeit werde gefährdet durch die Bedingungen der modernen Datenverarbeitung. Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, werde aus Vorsicht sein Verhalten anpassen (siehe auch Panoptismus). Dies beeinträchtige nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe. „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“
Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung[↑]
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, ist weit gefasst, ohne dass etwa unterschieden würde, ob mehr oder weniger sensible Daten des Einzelnen betroffen sind. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungs-Urteil festgestellt, dass unter den Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie zur Datenverarbeitung und Datenverknüpfung auch ein isoliert für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen und es insoweit keine belanglosen Daten mehr geben kann.
Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung[↑]
Da das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und damit insbesondere als eine besondere Ausprägung des in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Grundsrechts entwickelt hat, wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von vorneherein ausschließlich unter der Berücksichtigung seiner verfassungsimmanenten Schranken gewährt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimung wird also nur soweit gewährt, wie „nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz” verstoßen wird.
Darüber hinaus sieht das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung als möglich an, sie müssen jedoch auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen, die dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss. Dabei verlangt das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber eine Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Informationsinteresse der verarbeitenden Stelle und lässt Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse zu.
Dabei unterscheidet das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil[8] zwischen Maßnahmen, die ohne oder gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen werden, und Maßnahmen, die freiwillig erfolgen. Zumindest für die ohne oder gegen den Willen des Betroffenen vorgenommenen Eingriffe ist dabei eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich, die „bereichsspezifisch, präzise und amtshilfefest” sein muss.
Zudem wird allgemein unterschieden zwischen anonymisierten Daten, die keinen Rückschluss auf den Betroffenen zulassen (z. B. für statistische Erhebungen), und solchen Daten, die personalisierbar sind. Bei anonymisierten Daten ist die Zweckbindung gelockert, für Daten, die personalisierbar sind, gilt dagegen eine strenge Zweckbindung und der Gesetzgeber muss Vorkehrungen treffen, um einen Datenmissbrauch zu verhindern.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine Folgen[↑]
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat auch in der jüngeren Zeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine große Rolle gespielt. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa die Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt[9] und als Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verlangt dass die Vorschriften über den „Großen Lauschangriff” (§§ 100c und 100d StPO) um einen Straftatenkatalog sowie explizite Löschungsvorschriften ergänzt werden[10].
- BVerfG, Urteil vom 15.1.1983 – 1 BvR 209/83, 269/83, 362/83, 420/83, 440/83, 484/83, BVerfGE 65, 1[↩]
- vgl. BVerfGE 54, 148, 153[↩]
- vgl. ferner BVerfGE 56, 37, 41 ff. [Selbstbezichtigung]; 63, 131, 142 f. [Gegendarstellung][↩]
- BVerfGE 4, 7, 15; 8, 274, 329; 27, 1, 7; 27, 344, 351 f.; 33, 303, 334; 50, 290, 353; 56, 37, 49[↩]
- BVerfGE 45, 400, 420, m.w.N.[↩]
- BVerfGE 19, 342, 348; ständige Rechtsprechung[↩]
- vgl. BVerfGE 53, 30, 65; 63, 131, 143[↩]
- BVerfGE 65, 1, 46[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 [↩]
- BVerfGE 109, 279[↩]